Bondage - oder: auf den Spuren einer Faszination


Faszinierend daran, zu fesseln oder gefesselt zu werden, ist die Reinheit, in der Vertrauen und Verantwortung sich darin begegnen (können). Wenn die Personen, ihr Vorverständnis und die Situation stimmen, dann kann beim Fesseln eine intime Intensität von einer sonst kaum erreichten Dichte entstehen. Es gibt so viele Stile und Spiele von Bondage, wie es Küsse oder Tänze gibt. Nicht alle passen zu allen, aber die, die passen, faszinieren, wenn sie gut "getanzt" werden.
Bondage kann Halt verschaffen oder Ruhe geben, Schönheit hervorkehren oder Verfügbarkeit; Hingabe befördern oder Trost ermöglichen. Bondage kann Kunst sein oder Spaß oder beides. Bondage kann Wellness-Therapie sein und sollte dies auch sein.
Bondage erzeugt Empfindungen und kann Emotionen verstärken oder ihnen durch einen Rahmen erst einen Raum geben. Wo z.B. erst Verzweiflung Trost ermöglicht, kann Bondage die Brücke bauen (langsames Losmachen gehört auch noch zur Session!)
Bondage ist ein "Behandlungsspiel", so wie Massage oder eine Kommunikationsübung. Es gibt "machen" und "mitmachen" und nicht einfach: entweder aktiv oder passiv sein. Wichtiger als wie es aussieht ist, wie es sich anfühlt; Ausnahmen: Fotosessions oder Auto-Voyeurismus (d.h. sich im Spiegel toll spiegeln wollen, ist natürlich auch OK ...).
Bondage kann still oder schrill sein, grausam, grell oder gemütlich. Es kann sein, wie immer Menschen sein möchten, wenn es ihnen (mit Hilfe eines zweiten) besser gehen soll. (Ausnahmen: Autoerotik und Exhibitionismus)
Bondage braucht die Bereitschaft, empfinden zu wollen, was bereitet werden soll, oder die Bereitschaft, empfinden zu müssen, was bereitet werden soll. Wie in jedem Spiel gibt es Regeln, damit man sich auf die Ausgelassenheiten, die einem zu genießen gelüstet, auch einlassen kann, ohne Schaden zu nehmen oder anzurichten.

Wie sexuell ist Bondage?

Bondage kann hypersexuell, megageil oder ultraerotisch sein.
In jedem Fall entschleunigt Bondage, "dehnt" die Zeit und streckt die Lust.
Also nichts für hektische Schnellabspritzer und ihre ulknudeligen Fickmäuse. Bondage erzeugt eine berauschende Anwesenheit erotischer Verfügbarkeiten. Bondage kann Situationen schaffen, die unmittelbare Erlebensräume unserer Phantasien sind und sie "präsenter als die Wirklichkeit" werden läßt. Bondage kann für die Lust sein, was ein Oratorium für die Erbauung sein kann. Bondage kann Ficken zu dem machen, zu was ein Oratorium Harmonie macht, nämlich zu Kitsch.
Bondage kann aber auch Bedingung der Möglichkeit eines Mega-Ficks sein. Nur das Wort "Vorspiel" könnte dann noch alles kaputt machen!
Bondage ist Kopf-Sex mit Hand und Seil gemacht. Gekonnt, ist Bondage "Brain-Fuck" pur. Lustzeit pur.
Bondage kann den Themen solcher leidenschaftlichen Gattungsmarotten des homo sapiens wie Erwählung, Unterwerfung und Paarung ein geradezu hyperreales Erleben erschaffen.
Bondage dehnt Zeit und schafft Raum und verkörpert damit die Möglichkeit einer Antwort auf das "Direktheitsdilemma" der Geschlechter: Ein paar Meter Seil appliziert zu bekommen, kann "ihr" die Zeit geben, die sie braucht ohne dass "er" derweil abtörnt. Und indem "er" ein paar Meter Seil bei "ihr" appliziert, kann er sie auskosten ohne ihre Lust dabei über den Haufen zu fummeln. (Soweit das, das Problem ist, ist Bondage eine prima "Lösung"; in anderen Konstellationen hat Bondage halt andere Wirkungen.)
Bondage kann "erotische Raumzeit" schaffen, für alles, was im Orgasmus kollabiert. Wenn der Orgasmus der "Big Bang" ist, dann ist Bondage eine seiner möglichen Evolutionen und kann damit eine Bedingung der Möglichkeit seiner Tiefe sein. (Und gute Bedingungen ihrer Möglichkeit braucht die Tiefe unserer Orgasmen. Nur flach kommt's von selber).
Wenn der Orgasmus ein "petit mort" ist, dann bedeutet Bondage, das rauschende Leben davor in Zeitlupe zuzelebrieren.
Bondage ist mehr noch ein Medium, als eine bloße Spielart. Ein Medium von Intimität. Und die Frage, wie sexuell Bondage sein kann, verschiebt sich zu der Frage, wie sexuell denn die gewünschte Intimität sein soll. Das Spektrum reicht von Mumifizierungsfetischisten bis zu Splitterfasernacktfesslern.
Das unvermeidliche Mittelfeld bewegt sich irgendwo zwischen Kimono (hilfsweise Bademantel) und Dessous. Pragmatisch wichtig ist hier, eventuelle Bekleidung so zu wählen, dass sie auch unterhalb derausgefallensten Bondageschnürung noch dort fortgezupft werden kann, wo dies geschehen soll.
Klären, lernen, können ...
Das Wort "kann" taucht bis hierher 23 mal auf. Das ist viel und sagt auch etwas: Die Antwort, auf die Frage, was Bondage ist, ist stets, was Bondage sein kann.
Allgemein ist Bondage eine Möglichkeit zu intimen Erbauungen. Zu welchen Erbauungen konkret, hängt davon ab, wie die Leute gestrickt sind, die sich darüber Gedanken machen, davon, was sie denn gerne hätten.
Für Leute, die wissen, welche Emotionen sie erleben wollen, ist Bondage dann ein Medium ihr Erleben zu intensivieren, je nachdem, wie Bondage zu diesen Emotionen passt und ob sie einigermaßen können, was sie da machen. Also gibt es zum Thema Bondage was herauszufinden und was zu lernen und viel zu auszuprobieren und viel zu üben; wenn es sich beim "machen" so anfühlen soll, wie es sich beim Betrachten der betreffenden Bilder anzufühlen verspricht ...
Phantasien von romantischem Raub wären von zärtlicher Zügelung zu unterscheiden und diese wieder von grausamen Gemeinheiten oder verzehrender Verzweiflung. Wie genital darf, wie grob soll es sein; so und so ähnlich lauten die Fragen, von deren Beantwortung abhängt, welche Register beim Bondage gezogen werden sollten; und was zu diesem Zweck gelernt und geübt werden soll. Es gibt Tango und es gibt Walzer und alles dazwischen. Und alles will einigermaßen gekonnt sein, damit es nicht in Verruf gerät. Doch Bondage üben macht mehr Spaß als das damals in der Tanzstunde.


Japan und wir


Wie für alles, was stilvoll schöner geht, ist Japan beim Bondage stilbildend und führend. Nach Jahrzehnten wildester Wickeleien kalifornischer Chaosknoten* (Selbstkritik: messy rope-work) entdeckten westliche Bondageenthusiasten im bizarren Schillern der japanischen Fetischuniversen endlich die Jahrhunderte alten Traditionen, mit raffinierten Seilführungen magische Marter und wohlige Wonnen zu spenden. Die kriegerischen und autoritären Verwendungen dieser Fertigkeiten standen Jahrhunderte lang jeder unverschämten erotischen Okkupation entgegen. Welch ein Jammer!
Millionen westlicher Japanbegeisterter kloppten lieber Karate, servierten Tee oder knickten Papierblumen nach Vorbildern aus dem Land der aufgehenden Sonne, als etwa einmal die alltagspräsente japanische "Gewaltpornografie" mit aller lustgebotenen Ernsthaftigkeit auf Geilheitsgehalt und Inszenierbarkeitschancen hin zu untersuchen. Seit ca. zehn Jahren sind die Bilder japanischer Bondageerotik in Magazinen, Filmen und natürlich per Internet im Westen breit zugänglich. Seitdem sitzen auch kalifornische Knoten besser und eher dort, wo sie hingehören (auf der "clit" z.B.) und seitdem verfolgen westliche Bondageenthusiasten die Seilführungender japanischen Großmeister wie japanische Marketingleute westliche PKW-Modell-Reihen.
Puristen in aller Welt wetteifern um die Geschmeidigkeit ihrer Hanfseile und köcheln sie tagelang nach Japanrezept in Nerzöl zum Verdruss mitriechender Mitbewohner während die Seilverächter unter den SM-Leuten über Pingeligkeit, Sorgfaltsgehabe und Platzbedarf der Bondageenthusiasten auf unseren Parties lästern.

Ist Bondage SM?


Manche Leute grenzen Bondage gegen SM ab und sagen z.B. sie stehen auf Fesseln, aber nicht auf SM.

Richtig daran ist, dass jede/r nur machen sollte, was sie oder er wirklich wertschätzt und keineswegs irgendwelche Komplettpakete à la "SM heißt aber auch das und das" irgendjemandem aufgedrängt werden sollten. Der luststrukturelle Grundtatbestand aber ist bei Bondage und SM der gleiche: unser erotisches Empfinden begeistert sich an den Ausprägungen und Symbolen von "Objektbeziehungen", um auch mal ein Kritikerwort zu verwenden, oder, weniger dramatisch gesagt: Bei Bondage wie beim SM ist ein Machtgefälle (amerik. power-exchange) der Gegenstand des Lustgenusses.

Das so lustwirksame Machtgefälle kann sich in Schmerz, Strapazen, Einschränkungen oder Demütigungen manifestieren, es mag raffiniert, schikanös oder rabiat anmutend daherkommen; nur was sich da manifestiert und was die Intimität so verdichtet, ist ein Gefälle an Macht, ihre "Unausgeglichenheit" und eben nicht eine Ausgeglichenheit; die Inszenierung eines "asymmetrischen" Verhältnisses.

Per se ist das weder schlimm noch sonst wie wertbar; es ist einfach eine Tatsache des homo sapiens, so wie ihr Klima eine Tatsache jeder Gegend ist. Der springende Punkt ist, inwieweit es den Menschen gelingt, sich Spiele zu schaffen, die zu ihrer Lust passen ohne ihnen was aufzuhalsen, was sie nicht wollen. Doch dazu später mehr.

Doch noch ein Nachwort: Was ist überhaupt Macht? Ein Wort zum Bezeichnen von Begegnungen unseres Vertrauens mit unserem Verantwortungsgefühl, dass jedoch auch benutzt wird, um Missbrauch, Unvermögen und unsere gesunde Angst davor und dabei zu benennen. Schade eigentlich, meint der Sprachkritiker.

* liebevolle Anspielung auf das Heimatland der "Bondage-Industry"-Ursprünge rund um das kalifornische Hollywood.

sardonicus@gmx.de