Anmeldung | Member
 
Start | Infos | Vorschau | Shop | Filme | Links | Forum



Letter from Tokyo 17 - Osada-ryu
Die letzte Weisheit in Sachen Shibari/Kinbaku

Von Hans Flach

Nach tausend Tagen Askese, Meditation und hartem Training (shugyo) erschien Lord Iizasa Ienao (geb. 1387) der Gott Futsunushi in der Form eines jungen Burschen. „Auf dass du der Meister aller Meister unter der Sonne werdest“, sprach der Knabe und händigte dem Lord eine heilige Schriftrolle aus, die siegreiche Schwertkampftechniken und manches mehr enthielt. Katori Shinto-ryu. Ob mit heiliger Feder gezeichnet oder gar in Stein gemeißelt (siehe Moses: Besteigung des Berges Sinai), es geschehen mitunter wunderliche Dinge unter den Menschen.
Was nun das Osada-ryu des in Tokyo lebenden Bondageprofis Osada Steve betrifft, taucht die Frage auf: Wie viel Askese, Meditation und Training stecken da drin? Mehr noch: Was steckt überhaupt da drin?

Osada Steve: Da stecken in erster Linie ein paar tausend Tage harten Trainings drin.

Seit wann, weshalb und für wen überhaupt ein „Ryu“ für Shibari/Kinbaku?

OS: Nach der Eröffnung (2000) des Studio SIX Tokyo (lief damals noch unter dem Namen Osada Seminar) wurde das Osada Kinbaku Dojo rasch zur Anlaufstelle der internationalen Fesselschickimicki. Ab ca. 2004 begann ich dann, Intensivkurse und Shibari-Kliniken in japanischer Fesselkunst anzubieten.
Das führte zur Entwicklung von Lehrprogrammen, die sich individuell an die unterschiedlichen Erwartungshaltungen und Erfahrungspegel von Schülern anpassen. Über die Jahre habe ich das alles ein wenig verfeinert und in Form eines Lehrwerks (Ryu) zusammengefasst.
Die einzelnen Fesseltechniken mögen in ihrer Gesamtheit zwar kompliziert anmuten, lassen sich aber sehr gut in Mikroeinheiten zerlegen, was deren Analyse und damit Verständnis und Meisterung ermöglicht.
Osada-ryu ist daher gut geeignet, um hinter die Geheimnisse von Shibari/Kinbaku zu kommen. Die ideale „Schule” für den motivierten Menschenfessler.

Kann man da Grade erlangen, wie z.B. bei japanischen Kampfsportschulen?

Die Vermittlung der einzelnen Techniken ist so ausgelegt, dass mit einfachen Bondageformen (Shibari-kata) begonnen wird, die in ihrer Kombination dann aufeinander aufbauen. Insofern lassen sich die einzelnen Techniken auf saubere, sichere und flüssige Ausführung prüfen. Innerhalb des Osada-ryu sind Korrektheit und Geschwindigkeit folglich messbar. Dies bedeutet, Bondages sind vergleichbar und somit für Kyu- und Dan-Prüfungen geeignet.

Heißt das, dass die einzelnen Bondagetechniken in hohem Maße reglementiert sind? Widerspricht das nicht der allgemeinen Auffassung, dass gerade bei der japanischen Fesselkunst ein hohes Maß an Gefühl gefordert wird, ein emotionaler Austausch zwischen zwei Partnern erfolgen soll?

Ich sehe da keinen Widerspruch. Beim Karate ist jemand, der innerhalb einer Minute mehr korrekte Fußstöße ausführen kann als ein anderer, der bessere Treter. Jemand, der eine bestimmte Fesselung schneller korrekt fertig bekommt als ein anderer, ist der bessere Fessler. Ob man diese Fesselung dann im Schlafzimmer schnell, langsam (und mit Genuss) oder überhaupt ausführt, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Sicherheit, Flüssigkeit, Fingerfertigkeit, Geschwindigkeit kommen mit Übung und Erfahrung. Allein schon aus Sicherheitsgründen müssen komplizierte Hängebondage-Progressionen flott ablaufen. Abgesehen davon: Wer flott fesseln kann, kann im Problemfall auch flott wieder abbauen. Geschwindigkeit heißt Sicherheit. Niemand sagt, dass man nach Beherrschen einer Technik das Tempo nicht drosseln darf. Aber langsames Fesseln, weil man nicht weiß, was man macht, in der Umgangssprache gern als Rumknüppern bezeichnet, hat im Osada-ryu keinen Platz. Wer da was werden will, muss üben, üben, üben, bis jeder Fingergriff sitzt.

Sind diese reglementierten Shibari-Techniken des Osada-ryu lediglich zum Lernen konzipiert oder auch einsatzfähig?

Das sind alles Bondages vom letzten Stand der Technik, wie sie in Japan von Profis eingesetzt werden.
Mit anderen Worten, diese Techniken wurden mir nicht von einem Vöglein zugetragen, sondern sind das Resultat jahrelangen Trainings unter Meistern wie Osada Eikichi, Akechi Denki und Yukimura Haruki.
Egal, ob Intensivschüler in einer Shibari-Klinik, Workshop-Teilnehmer oder Osada-Kinbaku-Dojo-Mitglied, man bekommt auf einem silbernen Tablett ein umfassendes Fesselsystem geliefert.

Wie umfassend ist dieses Fesselsystem?

Innerhalb des Shibari/Kinbaku unterscheidet man zwischen zwei Hauptströmungen: Seme-nawa (Folterbondage) und Shuuchi-nawa (erotische Bondage). Hauptvertreter des ersteren Genres war der inzwischen verstorbene Großmeister Akechi Denki. Seme-nawa-Fesselungen erfordern ein hohes Maß an Präzision und Erfahrung.
Shuuchi-nawa hingegen hat die schmerzlose Lust zum Ziel. Wichtigster Vertreter dieses Genres ist Großmeister Yukimura Haruki.
In der Regel bleiben japanische Profis ihrem eigenen Stil treu, arbeiten also entweder nur im Seme-nawa-Genre oder nur im Shuuchi-nawa-Genre.
Dank meines Trainings unter sowohl Akechi Denki als auch Yukimura Haruki sind beide Strömungen Bestandteil von Osada-ryu. Dies macht es zum umfassendsten Fesselsystem weltweit.

Was genau sind die Inhalte?

Es gibt zunächst das Shibari-Regelwerk, in denen alle kodifizierten Techniken enthalten sind. In den höheren Leistungsstufen werden Kinbaku-Techniken und Hängebondage-Progressionen vermittelt. Neben den rein fesseltechnischen Aspekten werden aber auch die historischen Hintergründe vermittelt, denn immerhin basieren Shibari/Kinbaku auf mehreren Jahrhunderten Fesseltradition (Hojojutsu/Hobakujutsu). Jede einzelne Fesselung verfolgt einen bestimmten Zweck, hat einen bestimmten Sinn.

Was muss eine Fesselung erfüllen, damit sie als Shibari gelten kann?

Jede Fesselung muss ästhetisch wirken und unterliegt spezifischem japanischem Schönheitsempfinden. Nicht nur die Fesselung selbst muss diese Kriterien erfüllen, sie muss auch die Schönheit und Anmut der gefesselten Frau hervorheben.
Dieser Anspruch auf Ästhetik beschränkt sich nicht auf das Endprodukt (die fertige Fesselung), sondern gilt für alle Phasen des Fesselns. Lies: Es wird auch Wert auf die Ästhetik der Seilführung während des Fesselns gelegt.
Nach Abschluss des funktionellen Teils einer Fesselung muss das Restseil auf intelligente und anmutige Weise aufgebraucht werden.
Um es innerhalb des Osada-ryu auf einen grünen Zweig zu bringen, bedarf es zudem eines hohen Maßes an Optimierung bei der Seilführung. In etwa vergleichbar mit Schönschrift. Ein Wort kann man unleserlich kritzeln, umständlich „malen” oder unter Nutzung von kurzen Wegen sauber und flüssig schreiben. Genau so verhält es sich auch beim Shibari. Da muss jeder Handgriff sitzen.

Sind wir auf dem Weg zum DIN-Fessler?

Der Trend ist eher, dass sich das Wissen über solide Fesseltechniken langsam auch außerhalb Japans verbreitet.
Statt jahrelang herumzupröbeln und zu versuchen, Bondages von Bildern nachzubasteln, hat man heute in Deutschland die Gelegenheit, sich viel von anderen Fesslern abzuschauen.

Gibt es nicht bereits das DIN-Seil?

Das gibt’s. Der Vorteil ist, dass man die Reißfestigkeit kennt. Der Nachteil ist, dass ein solches Seil nicht zum Fesseln von Menschen ausgelegt ist.
Für Shibari/Kinbaku verwendet man vorzugsweise Juteseil, das nach speziellen Spezifikationen gefertigt wurde. Ein Seil für Shibari/Kinbaku muss einen guten Schlag, einen guten Handlauf haben.
Im Osada-ryu wird nicht mit Billigseilen aus dem Bauhaus gefesselt; auch nicht mit Seilen, die schlapp wie eine Nudel sind.
Glücklicherweise kann man in Deutschland das Osada-Seil, das auch in Japan als der Goldstandard gilt, über den Schlagzeilen-Shop beziehen.

Mehr Info und Fotos zum Thema Osada und andere japanische Meister und Dominas gibt es unter http://www.fetishjapan.com.

 

www.bondageproject.de | Kontakt / Impressum