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Letter from Tokyo 10 - Wild Dancer

Von Dr. D. Vice

Randa Mai trägt gerne schwarz. Nicht Chrome Hearts oder sonst was Schickes, sondern ausgebeulte Hosen und abgetragene T-shirts. Einen 3-Tage-Bart hat er, eine Sonnenbrille trägt er, Kaugummi kaut er, und vor jeder Performance zieht er Schuhe und Strümpfe aus. Letzteres, damit er die Seile fühlt, sollte er auf sie treten. Der Nawashi (Rope Artist) hat einen 4. Dan in Shorinji Kempo, einer japanischen Allkampfdisziplin chinesischen Ursprungs, aber ohne deswegen bedrohlich zu wirken. Randa Mai ist ein eherschmächtiger und zurückhaltender Mann.
"Der Nawashi sollte im Hintergrund bleiben. Im Vordergrund einer Performance steht die Frau, die mittels Seilen manipuliert wird, wie die Puppen im traditionellen japanischen Bunraku, die von den Kuroko, den vollständig schwarz gekleideten Künstlern, zum Leben erweckt werden."
Ein interessantes Konzept. Was ist aber mit den weiblichen Zuschauern? Die wollen doch sicher den Sensei sehen, den Meister, wie er umspringt mit der Frau, und vor allem, wie er sich bewegt. "Naja, ganz unsichtbar kann ich mich nicht machen. Einmal wegen der 'Bühne' selbst (in den meisten Clubs findet die Performance mitten im Raum statt), zum anderen wegen der Beleuchtung. Jeder Club hat da seine eigene Light Show. Prinzipiell geht es mir jedenfalls darum, die Frau in ihrer vollen Schönheit zu präsentieren, sie zur allgemeinen Freude lustvoll leiden zu lassen. Und die Techniken will ich zeigen, die ich mit den Seilen ausführe, und den Stil und die Schwierigkeitsgrade, in denen die Techniken ihren Ausdruck finden."
Randa Mai ist Vollprofi, der sein Geld ausschließlich mit japanischer Bondage verdient. Er wirkt monatlich an durchschnittlich zehn Videos mit, entweder als Regisseur oder Produzent, aber stets als Akteur. "Natürlich muß ich daran denken, was die Leute sehen. Ich kann z.B. nicht mit dem Rücken zur Kamera stehen und das Modell verdecken. Analog trifft das auch auf Live Performances zu. Nur daß in den Clubs die Zuschauer meist zu allen Seiten sitzen. Deshalb verharre ich selten an der gleichen Stelle. Ich tänzle praktisch ständig um mein Opfer herum." Deshalb wohl auch der Name Randa Mai (Wilder Tänzer)? "Je mehr Platz ich habe, desto besser. Dann kann ich meine Kreise drehen und so richtig in Fahrt kommen." In der Tat fliegen die Seile des Sensei oft in hohem Bogen durch die Luft, wobei die losen Enden nicht selten auf den Tischen der Gäste landen.
Was sind die Hauptunterschiede zwischen öffentlichen Auftritten und Filmen? "Live und Video sind zwei völlig verschiedene Sachen. Beim Filmen werden Szenen wiederholt, Einstellungen gewechselt, Pausen gemacht. Es wird aufgebaut, vorbereitet, abgebaut, umgebaut. Die Modelle, die in meinen Videos auftreten, kommen meist aus der Porno-Szene und werden über Agenturen gebucht. Das sind in der Regel keine Masochistinnen, brauchen sie auch nicht zu sein. Der Aspekt Sex steht hier an erster Stelle, das Bondage spielt eine untergeordnete Rolle. Man hat den ganzen Tag Zeit, bis der Film im Kasten ist. Da werden dann alle Varianten durchgespielt, ein-schließlich Geschlechts-verkehr, Einlauf, Peitschen, Fesseln, Hängebondage - und immer wieder Aktionen sexueller Natur. Man trifft sich, tut sein Ding, und am nächsten Tag hat man den Namen der Frau bereits vergessen. Während der eigentlichen Arbeit ist da kein Feeling drin."
Soll das heißen, daß auf einer Live Performance alles echt ist? "In gewissem Sinne ja. Damit die Zuschauer auf ihre Kosten kommen, muß ich mein Mädchen voll auf die Reise schicken. Halbe Sachen kommen da nicht in Frage. Deshalb mache ich Auftritte nur mit Frauen, die ich sehr gut kenne. Es müssen echte Masochistinnen sein, und ich muß eine Beziehung zu ihnen haben. Das sind meine Frauen, an die lasse ich keinen anderen Performer heran." Wohl aber dürfen diese Frauen als Mietsklavinnen in Clubs oder Agenturen arbeiten, in Videos mitwirken oder sich für Foto Sessions fesseln lassen, denn schließlich müssen auch sie ihr Geld verdienen. Eine Performance ist für Randa Mai jedenfalls eine sehr intime Angelegenheit. Was aber treibt der Sensei privat? "Das höchste der Gefühle ist und bleibt natürlich das SM-Spiel in den eigenen vier Wänden oder meinetwegen in einem gut ausgestatteten Miet-Play-Room oder SM-Love-Hotel." Manche der bekannteren Sensei sind entweder monogam, womöglich gar mit einer "normalen" Frau verheiratet, andere wiederum können Sex und Bondage nicht voneinander trennen. "Das nehme ich nicht so genau. Ich kann auch ohne Seile die Nacht mit einer Frau verbringen. Oder heute die eine M-Frau und morgen die andere Sklavin vernaschen. Eine intime Partnerschaft, eine enge Beziehung, ist für mich aber immer noch das beste, und da wird die Zahl der geeigneten Partner doch recht klein."
Muß man Sadist sein, um ein guter Nawashi zu werden? "Wohl schon, aber nicht unbedingt. Der wichtigste Punkt für einen Rope Artist ist es, daß er eine enge Beziehung zum Seil hat. Er muß das Seil lieben, wie es sich anfühlt, seinen Geruch, und was man damit alles anstellen kann, um eine Frau zu befriedigen. Damit die Performance gut aufgenommen wird, muß der Nawashi in die Frau hineinhören können, die Kommunikation muß stimmen, damit das Feeling rüberkommt. Warum sollte sich jemand, der kein Sadist ist, auf solch eine komplizierte Sache einlassen?"
Wenn man einmal davon ausgeht, daß die Zahl sadistisch veranlagter Männer und devoter Frauen ungefähr gleich ist, so gibt es doch relativ wenige Sadisten, die die Möglichkeit hatten, sich ein Repertoire an Techniken anzueignen, mit denen sie gegenüber M-Frauen als Master auftreten können. Folglich stehen zahlreiche Frauen im Regen. Ist das einer der Gründe, weshalb so viele Masochistinnen sich um die bekannteren Nawashi scharen? "Das mag wohl sein. Ein guter Meister ist teils Psychologe, teils Therapeut. Er muss in der Lage sein, die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Masochistin zu erkennen, um ihr Türen zu öffnen, sie auf den Weg zu schicken, ihr durch verständnisvolle, doch strikte Behandlung zur Erlösung zu verhelfen." Der Meister als lieber Onkel?
"Natürlich gibt es hunderte von Schattierungen. Von mir selbst kann ich jedenfalls sagen, daß ich ein sehr liebevoller Mensch bin, und diese Liebe meinen Frauen auch zukommen lasse."

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